Notwendig: Evidenzprüfung für digitale Gesundheitslösungen

HealthTech
Sheila Zabeu -

Mai 01, 2023

In letzter Zeit haben sich digitale Lösungen im Gesundheitswesen rasant entwickelt. Aber noch immer stehen Developer vor großen Herausforderungen, wenn es darum geht, Beweise für Sicherheit, Wirksamkeit und Wertschöpfung darzulegen. In der Schulmedizin und bei der Zulassung von Medikamenten ist es mittlerweile Routine, bestimmte (Sicherheits-)Verfahren zu durchlaufen. Aber: Wie sieht es mit Lösungen aus dem digitalen Umfeld aus? Es besteht immer noch kein Konsens über die Art und das Ausmaß der Evidenz, die Technologielösungen im Gesundheitssektor mitbringen sollten.

Roche, ein multinationales Pharma- und Diagnostikunternehmen aus der Schweiz, hat ein Paper zum genannten Thema veröffentlicht: Im Zentrum der Veröffentlichung stehen Herausforderungen und mögliche Ansätze für die Generierung solider Evidenz für digitale Lösungen. Ziel ist es, die Innovation für Gesundheitsfachkräfte und Fachpersonal aus dem klinischen Sektor sowie Patienten in großem Maßstab voranzutreiben.

Die Untersuchung basiert auf Interviews und Diskussionen mit Experten in den USA, der EU und dem Vereinigten Königreich. Teilgenommen haben Vertreter aus der Industrie, der klinischen Praxis, der Wissenschaft, der Politik und der Regulierungsbehörden. Zu den zentralen Fragen gehörte, was unter „Evidenzgenerierung“ im Bereich der digitalen Gesundheit zu verstehen ist und warum dies für verschiedene Stakeholder von Relevanz ist. Die Studie befasste sich außerdem mit den wichtigsten Herausforderungen und der Frage, wie Start-ups und Innovatoren bei der Generierung von Evidenz unterstützt werden können. Befragt wurden 144 internationale Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen. Dabei beleuchtet die qualitative Erhebung die Bedeutung von verschiedenen Evidenzarten, die die Kaufentscheidung für digitale Lösungen beeinflussen.

Der Studie zufolge gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie Entwickler Evidenz generieren können. Ein Ansatzpunkt wäre eine Evidenz, die auf Literatur oder realen Daten basiert, um ein klinisches Problem zu quantifizieren, ein Konzept zu validieren und die Produktentwicklung zu informieren. Anschließend lassen sich Bewertungen durchführen, um die Sicherheit, die Wirksamkeit und die Wertschöpfung von Lösungen zu überprüfen. Obwohl sich diverse Arten von Evidenz in jeder Phase des Entwicklungszyklus generieren lassen, sind einige stärker mit bestimmten Phasen verbunden.

Da die Generierung von Evidenz im Bereich der digitalen Gesundheit noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es keinen Konsens über die Terminologie. Darauf geht die Studie ein: Denn die Forscher unterstreichen, dass es von entscheidender Bedeutung ist, sich auf standardisierte Definitionen zu einigen, um die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu erleichtern – darunter Patienten, Angehörige der Gesundheitsberufe, Softwareentwickler, Akademiker, Hersteller, Regulierungsbehörden und politische Entscheidungsträger.

Die Studie warnt, dass herkömmliche Methoden, die als bestes Instrument zur Bewertung der Wirksamkeit von Arzneimitteln und anderen Interventionen gelten, für digitale Gesundheitslösungen ungeeignet sein können. Denn: Solche Verfahren sind mit dem typischerweise schnellen und iterativen Charakter der Softwareentwicklung oftmals nicht vereinbar. Darüber hinaus können sie viel Zeit, Geld und andere Ressourcen erfordern, die sich mitunter nicht zügig genug mobilisieren lassen.

Die zitierte Studie kommt zu folgender Erkenntnis: Für neue Technologien braucht es neue – und adäquate – Bewertungsansätze. Software unterscheidet sich grundlegend von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Sie sollte daher nicht auf die gleiche Weise behandelt werden. Sogenannte Software as a Medical Device (SaMD) stehen noch in den Anfängen und es fehlt an spezifischen Validierungsmethoden.

Beweise unter dem Mikroskop

Es gibt keine einheitliche und umfassende Methode zur Kategorisierung von Beweisverfahren. In vielen Fällen unterteilen Experten den Prozess jedoch in drei große Bereiche: technische, klinische und wirtschaftliche Evidenzprüfung.

Darüber hinaus lassen sich die meisten Arten von Nachweisen in verschiedenen Phasen des Produktlebenszyklus generieren. Oftmals sind die jedoch an bestimmte Zeitpunkte im Prozess gebunden: So sind beispielsweise klinische Ergebnisse, die die Sicherheit und Wirksamkeit einer Lösung belegen, für die behördliche Zulassung unerlässlich. Wirtschaftliche Analysen sind hingegen wichtig, um die Kostenerstattung sicherzustellen. Bereits in der frühen Phase der Ideenfindung können Techniker durch Benutzerumfragen und beschreibende Studien Nachweise zur Validierung eines Konzepts erbringen.

Zu den wichtigsten Herausforderungen bei der Generierung aussagekräftiger Beweise für digitale Gesundheitslösungen gehören der Studie zufolge:

  • Mangel an Wissen: In vielen Fällen gibt es keine klaren Informationen über die Anforderungen an die Evidenz, die z. B. von den Regulierungsbehörden verpflichtend verlangt werden. In vielen Ländern sind in diesem Bereich bereits Fortschritte zu verzeichnen, indem Evidenzstandards festgelegt und kommuniziert werden.
  • Finanzieller Aufwand: Die Erstellung von Nachweisen kann ein teurer Prozess sein. Es gibt keinen Anreiz, in die Entwicklung solider Nachweise zu investieren. Es sollten Erstattungsmöglichkeiten geschaffen werden.
  • Verfügbarkeit von Daten: Den Entwicklern fehlt oft der Zugang zu Daten, um den Prozess der Evidenzerstellung zu unterstützen. Schlechte Interoperabilität, isolierte Datenarchitekturen und eine uneinheitliche Datenpolitik behindern den Fortschritt in diesem Bereich oftmals.
  • Methodische Herausforderungen: Traditionelle Forschungsmethoden, die bei der Bewertung von Medikamenten und anderen Verfahren eingesetzt werden, sind für viele digitale Gesundheitsdienste ungeeignet. Darüber hinaus macht der schnelle Zyklus der Softwareaktualisierung traditionelle Methoden in bestimmten Situationen überflüssig.
  • Digitale Gesundheitskompetenz: Das niedrige Niveau der digitalen Gesundheitskompetenz sowohl bei Patienten als auch bei Angehörigen der Gesundheitsberufe ist ein erhebliches Hindernis für die die breitere Einführung dieser Lösungen.

Neue Ansätze

Laut der Studie von Roche können in der frühen Phase der Produktentwicklung verschiedene Methoden zum Erkenntnisgewinn eingesetzt werden: Dazu gehören z. B. qualitative Studien, Sekundärforschung (beispielsweise Analysen klinischer Behandlungslinien oder des Gesundheitssystems) sowie Usability-Tests. Diese Methoden sind zwar einfach umsetzbar, doch häufig auch weniger aussagekräftig als traditionelle Methoden.

Ein pragmatischerer Ansatz könnte klinische Simulationen, Beobachtungsstudien mit realen Daten und Plattformstudien umfassen. Bei diesen Optionen handelt es sich um einen neuartigen Studientyp, der für die Bewertung sich schnell entwickelnder digitaler Gesundheitslösungen nützlich sein kann. Der Grund: Die Studien sind so angelegt, dass sie adaptiv sind und die Interventionen im Laufe der Zeit modifiziert oder verändert werden können.

Empfehlungen für Stakeholder

Entwickler und Innovatoren sollten eng mit politischen Entscheidungsträgern, Regulierungsbehörden, klinischem Fachpersonal und Patienten zusammenarbeiten. So lässt sich sicherstellen, dass die Nachweise realistisch, angemessen und formalisiert sind. In jedem Fall ist zu klären, wie sich die Methoden der Beweisführung mit dem Entwicklungsstadium der jeweiligen Lösung in Beziehung setzen lassen.

Unerlässlich ist zudem, Angehörige der Gesundheitsberufe stärker für digitale Lösungen zu sensibilisieren. Denn nur wenn Ärzte wissen, wie Gesundheitstechnologie funktioniert, lässt sie sich angemessen anwenden und unter Umständen auch auf Rezept verschreiben. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Studie annimmt, dass Berufsverbände und medizinischen Fachgesellschaften eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung und Beratung spielen könnten.

Wichtig ist aber auch, dass sich Innovatoren bewusst werden, wie wichtig die zügige Evidenzgenerierung und die damit beschleunigte Produktentwicklung sind. Öffentliche Stellen und Aufsichtsbehörden sollten die Verwendung echter Evidenz in Entscheidungsprozessen formal festhalten. Zudem sind klare Hinweise nötig, wie Evidenz zur Unterstützung von Entscheidungen genutzt werden kann.

Zuletzt hebt die Studie die Notwendigkeit hervor, klare Erstattungspfade für digitale Gesundheitslösungen festzulegen. Begleitende Leitlinien, die festlegen, welche Nachweise für die Aufnahme in die Verfahrensliste erforderlich sind, schaffen Eindeutigkeit und Klarheit.